Motiv

Wie kommt es eigentlich dazu, dass ein nicht sehr religiöser Mensch die Idee hat, von seinem Wohnort nach Santiago de Compostela zu marschieren?

Irgendwie hat mir immer schon vorgeschwebt etwas zu machen, wobei ich an meine persönlichen Grenzen gehe. Das soll nicht so sein, dass es wirklich lebensgefährlich wird, sondern eine für meine Verhältnisse große Aufgabenstellung, die mit Ausdauer und gehöriger Überwindung des inneren Schweinehundes gerade noch machbar ist.

Ich plane keine Teilnahme am „Race across America“, doch es ist eine vergleichsweise für mich genauso große Herausforderung, die jede Menge an Vorbereitung erfordert. Eine Planung der Route und des Equipments ist selbstverständlich, aber es gehört auch eine Planung der mentalen Einstellung, der ganzen Vorgangsweise dazu und ist vielleicht die wichtigere Arbeit.

Vielleicht sollte ich davor noch erklären, dass ich es nicht wirklich so mit dem Wandern habe. Ich bin bisher in meinem Leben nur kleine Wanderungen gegangen, im Schnitt vielleicht eine im Jahr, das jeweils naiv und unvorbereitet so unter dem Motto: „Wird schon funktionieren.“ So ähnlich bin ich auch meine bisherigen Marathons angegangen. Einige werden jetzt sagen: „Ja, wenn er Marathon bewältigt hat, dann kann das auch keine große Herausforderung sein.“ Doch. Das ist was anderes. Unabhängig davon habe ich mir dazumal auch nur eingebildet, laufen könne jeder, was zumindest bei mir ganz und gar nicht der Fall war. Bis ein Jahr vor dem Entschluss einen Marathon zu laufen habe ich im Schnitt 60 Zigaretten pro Tag geraucht. Eine Woche vor meinem 40igsten Geburtstag Schluss gemacht, denn irgendwann hört jeder auf zu rauchen – so oder so. Weil ich jedoch immer mehr aus dem Leim gegangen bin, beschloss ich, dagegen muss etwas getan werden. Weil ein normales Abnehmtraining nicht geht, muss etwas Großes her, ein Marathon.

Ich musste bei meinem ersten Trainingslauf bereits nach 300m erkennen, dass das nicht so einfach werden wird, denn ich kam daher wie ein Kamel im Passgang und Asthma im Endstadium, nur dass ich keine Sauerstoffflasche mit mir führte. Nein, ich will hier nicht länger ausführen, wie ich trotzdem dabeiblieb und meinen ersten Marathon auch schaffte. Keine wirkliche Läuferzeit. Ich blieb knapp unter sechs Stunden und kämpfte mit dem Schlussauto und den Kehrmaschinen um die letzten Plätze. Aber ich habe es geschafft und trotz aller Schmerzen und mitleidigem Lächeln von Zuschauern, die mich anfeuerten – mich, der bisher noch niemals angefeuert wurde – erfüllte mich dieser innere Sieg mit riesiger Genugtuung. Ich hatte etwas geschafft, ein Gefühl gewonnen, das ich bislang nicht kannte. Ich kann etwas erreichen, mag es auch noch so abwegig erscheinen, wenn ich es mir nur fest genug vornehme.

Ich bin in den nächsten Jahren noch ein paar Marathons und ein paar halbe gelaufen, zumeist ohne große Vorbereitung und daher mit ähnlichem Ergebnis, aber immer mit dem Wissen: Es geht, wenn ich nur fest daran glaube und nicht aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen aufgebe. Habe ich auch nie. Und dieses Wissen gibt mir die Kraft auch andere Dinge anzugehen, bei denen die meisten Menschen aus meinem Umfeld meinen, das sei verrückt und nicht mit meinem Lebensalter vereinbar. Das wiederum gibt mir noch mehr Ansporn es erst recht zu tun, es zu beweisen, dass sich vieles nur im Kopf abspielt und alles andere dementsprechend anpasst.